„Längst war ich mit dem Erhabendsten in der Natur bekannt“ schrieb der Schweizer Aufklärer Johann Georg Zimmermann im Jahre 1785, „als ich zum erstenmal in meinem Leben in einen Englischen Garten sah. Noch kannte ich die Kunst nicht, welche elende Sandhügel durch eine neue Art von Schöpfung in eine freundliche Landschaft verwandelt... Noch hatte ich nicht erfahren, dass man auf den ersten Blick weggerissen werden kann... zu arcadischer Wollust“[1]

Was Zimmermann seinen Lieben in die Schweiz aus Hannover berichtete, beschreibt den Wandel in der Gartenkunst, der gegen Ende des 18. Jh. überall auf dem alten Kontinent einsetzte. Die neuen „Englischen Gärten“, die auch in der Schweiz zahlreich entstanden, waren Miniaturlandschaften, die aussahen, als seien sie gewachsen, und Kunstwerke, die so taten als seien sie Natur. „Der neue Gärtner“, so Horace Walpole zeige seine Talente, indem er seine Kunst verberge.

Nur: warum investieren Künstler und Landbesitzer so viel Geld, um den Eindruck zu erwecken, sie hätten überhaupt nichts gemacht? Und – noch viel spannender, da die Frage unser heutiges Thema aufgreift: lässt sich Natur nachahmen, dass man Urbild und Kopie verwechseln kann?

Die Antwort ist: NEIN – und gerade das macht den Reiz der Englischen Gärten des 18. Jh. aus. Sie setzten weniger auf Echtheit, denn auf ihre Wirkung.

Nach dem sittlich-religiösen Verständnis jener Zeit zeigte sich das Wirken Gottes in einer Ausgewogenheit der Kräfte. Die Welt wurde durch das harmonische Zusammenwirken des Einzelnen zusammengehalten und Gott als Schöpfer brauchte dem Weltverlauf nur noch zuschauen. War jedoch der originale Zustand bereits gut, so war auch die Natur vollkommen.

Daher galt es einzig, das von Gott Geschaffene zu vereinen, in dem man Einzelnes sammelte und zu einem höheren Ganzen verschönerte. Was die Natur zufällig schuf, sollte innerhalb der Gartengrenzen fokussiert wiedergegeben werden. Der frühe englische Garten war Ausdruck einer Wunschnatur. Da sich aber Natur nicht 1:1 neu erschaffen liess, verlegte man sich auf Täuschungen, Anspielungen und Überraschungseffekte.

Früh erkannte man z.B., dass Natur unendlich ist. Um Unendlichkeit nachzubilden, führte man durch dichte Wälder schlängelnde Gartenwege dergestalt, dass dem Wanderer bald schwindelte und er seine Orientierung verlor. Verliess er verwirrt das schattige Gehölz, so betrat er zumeist ein offenes Prospekt, das verblüffend einem Landschafts­gemälde glich. Tatsächlich fungierten Kunstwerke prominenter Zeitgenossen häufig als konkrete Garten-Vorlagen. Man war mit der Verbindung von alten Bauten und idealisierten Naturszenen aus der Landschaftsmalerei vertraut. Maler des 17. Jh., wie Salvador Rosa, Claude Lorrain oder Nicolas Poussin dienten als Vorlage für die Nachahmung der Natur im Garten.

Der Englische Garten wurde als eine Abfolge betretbarer Landschaftsgemälde angelegt. Jede dieser Szenerie erschloss durch Sichtbeziehungen ein komplexes System von Gartenarchitekturen, sog. Follies. Wörtlich aus dem Englischen übersetzt bedeutet Folly eine Verrücktheit; auf die Architektur übertragen also ein schwer einzuordnendes Bauwerk ohne unmittelbaren Nutzwert. Griechische Tempel, gotische Ruinen, Miniaturpantheons und mittelalterliche Pavillons waren Staffagen, die in die Kunstlandschaften angepasst wurden. Damit sie perspektivisch wirkten, wurden sie in ihren Maßen notfalls verkleinert oder verzerrt. Gärtner errichteten zudem wahre potemkische Dörfer und setzten darauf, dass Anspielungen genügten, um die Phantasie der Besucher in die gewünschte Richtung zu lenken.

Als eine Architektur ohne Nutzen waren viele der verwendeten Kleinarchitekturen per se nicht neu. Neu hingegen war der Wandel in der ideellen Betrachtung. Die Folies zeugen von der Bestrebung, den antiken Rahmen zu durchbrechen, um ihren neuen Funktionen gerechter zu werden. Der englische Landsitz war Symbol eines liberalen Weltentwurfs und Follies standen sinnbildlich für das Gesellschaftsmodell. Sie wurden zu Manifeste politischer Ideale und gesellschaftlicher Utopien. Sie folgten einer politischen oder philosophischen Haltung ihres Eigentümers und waren in ihrem Kern ein grossangelegtes Bildungsprogramm.

Englische Gärten waren von Beginn an ein Appell an die Vernunft!

Die darauffolgende Phase des Landschaftsgartens wollte bald nicht mehr an eine Ideallandschaft erinnern, sondern sie selber schaffen. Doch erst J.J. Rousseaus „Zurück zur Natur“ öffnete der Einsicht den Weg, Natur als Ausdruck sittlicher Moral zu verstehen. Dies hiess in seiner Konsequenz, der Natur Gefühle entgegen zu bringen. Es war dies der Startschuss einer romantischen Betrachtungsweise der Natur, die bis heute nachwirkt.

Der Begründer einer sensualistischen Wirkungsästhetik in der Gartenkunst, William Henry Holmes, schrieb, dass die Architektur und der Gartenbau die Seele nicht anders ergötzen könne, als durch Erregung gewisser angenehmer Bewegungen und Gefühle. „Sie [die Gefühle] sind der wahre Grund zu allen Regeln, nach welchem man sich in diesen Künsten zu richten hat.“

Holmes interessierte bei der Anlage von Gärten vornehmlich das Zustandekommen von Empfindung. Die sinnliche Rezeption der Gärten hat im wahrnehmenden Subjekt dessen „Unteres Erkenntnisvermögen“ zu erregen. Modern ausgedrückt: der Garten ist nicht gefiltert durch den Verstand, sondern unmittelbar durch den  >>>Bauch<<<  zu erfahren.

Gärten und Architektur sollten daher einzig der Unterhaltung des Gefühlslebens dienen. Sie sollten Objekte sein, die Rührung hervorbringen und das Gemüt in Bewegung versetzen. Die Aufgabe des Künstlers war es, die Wirkung, die von seinem Werk auszugehen hat, zu optimieren. Dabei wurden Angst, Trauer und Schrecken in besonderer Weise gefördert, denn sie liessen sich nur schwer steuern.

Das schmerzliche Empfinden führte den Garten zu verschiedenen Ausdrucksformen der Melancholie und der Einsamkeit. Eremitagen, Felsengänge, Grabstätten, verlassene Ruinen und Spaziergänge in dunklen, „wild-melancholischen“ Waldrevieren auf Pfaden, wo kein zweiter nebenher laufen konnte, erzeugten eine künstliche Vereinsamung. Denkmäler in Verbindung mit Trauerweiden („Salix babylonica“) boten Hilfestellung zur Trauer. Die „süsse Melancholie“ führte zu einem kollektiven Massensterben suizidal veranlagter Romantiker, in deren Nachlass die Leiden des jungen Werther obenauf lagen. Des Gartenkünstlers Werk war eine Anleitung zum Unglücklichsein und seine Kritiker stellten nicht ohne Hohn fest, dass der Gärtner statt Elysien Friedhöfe schuf!

„Was gilt“? Nicht das Original war von Bedeutung, sondern die Assoziation, die man mit dem Bauwerk verband. Follies waren nur dem Anschein nach „echt“, sie waren Fälschungen, Nachbauten oder Scheinarchitekturen, die mitunter authentischer wirkten als ihre Vorbilder. Die Betrachter wussten dies sehr wohl und konnten sich gerade deshalb darauf einlassen. Denn sie waren nicht an dem Original interessiert, sondern an den sentimentalen Stimmungsbildern, an das was man mit ihnen verband - und vor allem an dem, was die Kopie in ihnen evoziert oder evozieren soll.

Die Wahrnehmung der äusseren Natur ist ein Konstrukt unseres inneren Empfindens. Auch wenn wir heute –vermeintlich– gewohnt sind, Natur und menschliche Wahrnehmung in zwei Bereiche zu scheiden, sind sie in Wirklichkeit nicht voneinander zu trennen.

Natur, oder das was wir in ihr sehen (wollen), ist wie ein Spiegel, in dem wir - wie könnte es anders sein - uns selbst wiederfinden.

Herzlichen Dank.

 

[1]              Zit.n. Hans von Trotha „Der englische Garten : Eine Reise durch seine Geschichte“ Berlin o.J., p.7.

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