Sophia, Hermes (stumm), Nikos


Sophia: Ei, wieder einmal eine Epistel! Da hat das alte Herz noch einmal einen Grund  zu lachen. Früher, ja damals, als alle meine Töchter und Söhne noch im Hause weilten, was haben wir damals das logon didonai gepflegt. Die Sterb-lichen selbst haben an unserem göttlichen Spass ihr Ver-gnügen gefunden und, als ob es eine Krankheit wäre, sich davon anstecken lassen. Doch dann, als nach und nach die Eine oder der Andere ausflogen ist und ein unverschämter Bursche der Techne sich angeschickt hat, Blätter zu bedruk-ken und zu ganzen Blätterhaufen zusammenzubinden, da war es mit einem Wort vorbei mit den schönen Unterre-dungen und es hiess für mich und meine verbliebenen Töchter noch biblion didonai. Und heutzutage, die Wörter und Sätze zucken schneller hin und her, von den Säulen des Herakles bis zu den Indern und Aethiopen und zurück und wieder hin, als Vater Zeus den Blitz zu schleudern vermöchte, heute bleibt nur noch das elektron didonai. All meinem Weh und Ach kann es kaum zum Trost gereichen, dass den Sterblichen das Denken und die Gedanken noch immer gleich träge und behäbig  fliessen als ehdem. Wen sollte es auch wundern, wenn der Kopf Sitz genommen hat in den äussersten Fingerspitzen.  

Also frisch gewagt, geöffnet und gelesen: Anbei lässt Ni-kos, Sohn des Nikou, Dir, hehre Göttin, verlauten, Du ha-best in ihm einen Liebhaber nicht mehr zu beklagen. Dank sei Dir für Dein Wohlwollen.

So ein frecher Bursche, bezeichnet sich als einen meiner Freunde, Liebhaber gar. Schon immer, seit dieser Frech-dachs mir unter die Augen gekrochen kam, hegte ich die Vermutung, dass dieser ungehobelte Kerl einmal böse en-den werde, noch bevor er sich überhaupt bis zu den Tiefen meiner Gestade vorgegraben habe. Wohlwollen, als ob er davon seinen Teil jemals abbekommen hätte. Schon kriege ich die Hitze. Asklepios hatte recht, als der mir auftrug, ich solle mein altes und grames Herz schonen. Es scheint in der Tat mit mir langsam, aber sicher zu einem Ende zu kommen, und doch steht einer Göttin, wie ich eine bin, Un-sterblichkeit zu. Welcher Göttin aber spinnen die Parzen auch solch Los, als Unsterbliche Sterblichen gleich zu sein. Welch Geschick bezwingt mich, und dazu des Dichters Wort:

        

    So geht's dahin das Haus des Agamemnon



Aber, was könnte es mich angehen, wenn einer dieser selbsternannten Liebhaber seine abscheuliche Neigung mir aufkündigt. Doch dass diese spitzbübische Spottdrossel es wagt, mir, der Sophia, seine Freundschaft oder Liebschaft oder das, was sich sie sich darunter einbildet, mit zwei schmalen Piepsern kundzutun, das will ich ihr nicht durch-gehen lassen. Sogleich soll Hermes losschwirren und den Frechschnabel flugs zu mir zitieren.

[Hermes schwirrt ab.]

Er soll mir das Zwitschern und Flöten schon noch lernen. Noch hat selten jemand meiner Werbung widerstehen kön-nen.

Beim Tachypteros! Da kommt er ja schon.

Nikos: Sei mir gegrüsst, du Unsterblichste aller der Götter und Göttinnen. Du hast nach mir fliegen lassen.

Sophia: Zunächst kann ich meiner Ueberraschung kaum Herrin werden, zu dieser Tageszeit, oder sollte ich treffen-der sagen Nachtzeit, dich bereits auf den Beinen zu sehen.

Helios hat kaum die Hälfte seines Tageswegs hinter sich gebracht. Was treibt dich um? - Ich erspare dir eine Erwi-derung. Denn eben, als du deinen Schnabel aufgerissen hast, kehrte deine klebrige Zunge schon etwas ganz und gar Verkehrtes daraus hervor: unsterblich duldet keinen Superlativ.  

Nikos: Schon seit den Anfängen unserer Bekanntschaft, wenn es dich nicht zu sehr aufbrächte und schmerzte, wür-de ich von Zusammenarbeit sprechen, also schon seit lan-gem gebe ich mich dem Gedanken hin, dass du heimlich mit der Grammatike im Bunde stehest, es aber dir bei de-nen, die in deine Wissenschaft eingeweiht sind, nicht an-merken lassest, so dass diese eben deshalb zu einem guten Teil Ausgeschlossene sind, weil es dich um göttlichen Kopf und Kragen bringen könnte. Sei dem, wie es sei! ‚Unsterb-lich duldet keinen Superlativ' ist gut gesprochen. Doch von einem Superlativ hab' ich, falls ich mich selbst nicht an Worten herumführe, keinen Gebrauch gemacht. Du Un-durchsichtigste der Götter und Göttinnen, dein Superlativ ist mein Elativ! Mit ihm schickte und schicke ich mich an, dir meine Aufwartung zu machen und Ehrerbietung zu er-weisen.

Sophia: Zu deiner Rettung sei's! Teile mir nun denn auch, da du mit deiner Fuchserei schon eingesetzt hast, mit,   weshalb du zu dieser Nachtstunde nicht mehr in des Hyp-nos' Reiche weilst!

Nikos: Aller Missverständnisse Urheber ist Hermes. Er ent-riss mich dem Tage.

Sophia: Dir träumte? Sag an!

Nikos: Sehr wohl. Aber du wärest besser beraten, den Hyp-nos zu fragen, mit was für Schreckgespensten er mich ge-foltert hat. Er könnte dir sicher alles genau nachstellen und ausmalen. Welche Bilder sich meines Schlummers bemäch-tigten, davon kann ich dir nur vage Kunde geben. Schatten der Philosophia, einer alten, aufgedonnerten Hetäre, un-würdiger Freier und des Hundes Argos', glaube ich, mach-ten mir die Nacht zum Tag.

Sophia: Aus deinen eigenen Worten zu schliessen ein wildes und wüstes Durcheinander.

Nikos: Genau. Dem Hypnos sei Dank, dass wenigstens er auf Ordnung bedacht ist!

Sophia: Wie? - Wen magst überrraschen, wenn ein unge-festigtes Gemüt von einem wirren Kopf mit altehrwürdi-gen Geschichten heimgesucht und gequält wird? Jetzt hängst du dich also an den Homer?

Nikos: Er spricht mit Mass.

Sophia: Damit geizen meine wahrsten Verehrer und Lieb-haber auch nicht im geringsten. Nimm nur die vielberedten Dialoge des Platon oder die mittelmässigen Traktätchen des Aristoteles oder die tadelvollen Diatriben der bunten Säulenheiligen! Andere anders.

Nikos: Mit deinen eigenen Worten zu sprechen: etwas Ver-kehrtes. Am wahrsten, du Sechswertigste aller Gottheiten?

Sophia: Wie geschieht dir? - Was den Argos angeht, so kann ich dir Beruhigung verschaffen. Der Wachsame und Treue liegt zu Füssen des göttlichen Odysseus' auf der In-sel der Seligen und bekommt jeden neuen Tag einen gros-sen Knochen.

Nikos: Solch ein Leben hat er sich auch redlich erlitten. Sophia: Damit genug des Homeros.

Nikos: Was mich jedoch noch Wunder nimmt zu erfahren, da wir nun einmal dabei sind: welche von deren, die dir ihre Ehre antaten, nachdem du ihnen den Gebrauch des Schabmessers ausgeredet hattest, und die gleich Wegela-gerer die unteren Hälften ihrer Gesichter verschämt be-deckt halten, werden dort ausgehalten?

Sophia: Wenige genug. Als da sind der Platon, der vom Basteln auch hier nicht ablassen will und eifrig an seinem Fluggefährt, mit dem er einst den Ideenhimmel zu erobern gedenkt, herumfuchelt; dann der Sokrates, der mit seinen sophistischen Schrullen die Athene selbst und den Apollon gegen sich und alle gegeneinander aufzubringen im Be-griffe ist; weiter die paar wenigen echten Stoiker, die auch hier kaum vom Fleck kommen, weil sie immerzu über ihre übermächtigen Tugendbärte stolpern; dann noch der Dio-genes, der mit dem Argos um die Wette bellt und heult und sich tagein tagaus mit ihm um den grossen Knochen streitet. Den Neueren war Zeus strenger. Dem Lybier Au-gustinus, dem Italiker Thomas und dem Gallier Cartes hat er gleich das Tor gewiesen. Fremder Gottheit nicht nur zu opfern, sondern ihr sogar noch zu versuchen, eine Existenz anzuhängen, das duldet unser gestrenger Vater und weiser Richter nicht. Andere eines ähnlichen Schlags liess er Jeho-va überführen. Dem Borussen Kant wies er das Warte-bänkchen und hat vor, ihn dort so lange schmorren zu lassen, als bis er seine Kritiken ins Attische übersetzt hat. Hermes, der mir von seinen Gleichschritten Kunde bringt, meldet, dass er noch immer nicht über das Wörtchen Kritik hinausgekommen sei. Du hörst also, es kann noch etliche Olympiade ins Land ziehen, bis ihm Zutritt gewährt wird. Mit Hegel, dem Germanen, war Zeus schnell einig. Denn als dieser ihm anfing auseinanderzusetzen, dass die Insel der Seligen und der Tartaros identisch seien, gab er ihm zur Antwort, dass, wenn ihre Identität zuträfe, es ihm ja gleichgültig sein könnte, ob er ihm auf der Insel oder im Tartaros Aufenthalt gewähre, und schickte ihn geradewegs in den Tartaros. Ich glaube, das gefiel dem uneinsichtigen Germanen überhaupt nicht. Zeus lässt nicht mehr mit sich scherzen, wenn es um Identitäten geht. Seit die Aphrodite mit sich selbst im Streite liegt und die einen mit diesem unsäglichen Feuer bereits versengt hat, so dass selbst Phos-phoros und Hesperos in Eigenliebe zueinander entbrannt sind und beinahe daran zerglühen, von den unwissenden Sterblichen ganz zu schweigen, und andere im Begriffe ist anzustecken, kriegt er jedesmal, wenn davon die Rede ist, eine göttliche Hitze. Kurz nach dem sonderbaren Germanen  marschierte rassig ein noch Merkwürdigerer dieses Volksstammes ein, hielt schnurgerade auf Zeus' Thron zu, stellte sich vor ihm auf, erhob Arm und Stimme und schrie: Heil Hupiter, hier bin ich, um mit dir als Führer mir das ganze Seyn zu erschiessen, und alles anzuschies-sen, wonach dich gelüstet, stehe ich dir vor und mache nicht kehrt. Schlimmer Argwohn und Zorn ergriff Zeus. Denn es dünkte ihn, der karge Bart leide an einem Barba-rismus und stellte ihn deswegen zur Prüfung ab. So war's dann auch. Zeus hatte die richtige Nase. Es stellte sich nämlich heraus, dass dieser, seiner Flügel beraubte Schnurrbart ?? mit Epsilon als ??? schrieb. Der erboste Richter veranlasste daraufhin sogleich, dass die harte Schulbank sich eines solch ungeschliffenen Benehmens an-nehmen solle. Die bemitleidenswerten Kinderchen kriegten es mit der Angst zu tun, wie du dir vorstellen kannst, als sie dieses gestutzten Schnurrbartes angesichtig wurden. Aber selbst solch ein Stutzer hat gegenüber vieler meiner Verehrer seinen Vorteil: Er lässt die Knaben und Jünglinge Knaben und Jünglinge sein.

Nikos: Halt ein, meine Vorstellungen beginnen sich zu blähen! Den Rest erspare dir!    

Sophia: Nun gut, dann endlich zu dir und diesem schänd-lichen Blättchen hier. Gabst du dich tatsächlich dem Glau-ben hin, dass eine üppige Göttin, wie ich eine bin, sich mit zwei dürren Sätzchen abspeisen lasse? Eine Göttin, der täglich ganze Hekatomben an Papyrus geopfert werden!

Nikos: Wohl gesprochen, du Mächtigste und Einfluss-reichste unter all den Göttern und Göttinnen. Nun denn, dein Wunsch sei mir Befehl, ein paar Worte zu meinem Briefchen. Der Grund, weshalb ich ihn dir zur Einsicht zu-kommen liess, ist, dass ich mit einem deiner Liebhaber lei-der die schlechte Erfahrung habe machen müssen, dass die-ser anscheinend vor lauter Rechenschaft ablegen keinen Anstand zu finden und keine Anstalt zu machen sich be-mussigt fühlte, auf einen Brief, und sei er dem Inhalte nach noch so mager und trocken ausgefallen, zu antworten. Aus diesem Grund glaubte ich, gut daran zu tun, dir selbst die Kunde zu verschaffen und dich durch meine Abkehr zu erwärmen und zu erfreuen.

   Falls mir schaff' ich Gehör: probitas laudatur et alget.

Sophia:

   Unhinterfragt es bleibt mir nichts, derartiges alles.

   Welchen Verehrer dadurch packt Schuld, verkündige nunmehr!

Nikos: Mir scheint, du führst deinen Haushalt unordentlich.

Sophia: Wenn du darin nur nicht fehl gehst! Doch bedenke: selbst eine Göttin kann ihre Augen und Ohren nicht einmal überall dort haben, wo selbst ihre wahrsten Liebhaber und Verehrer lustwandeln oder einander in der Wolle liegen und mit Argumenten einander bespucken. Doch du sollst das Wort haben.

Nikos: Wo sind wir stehengeblieben? - Also, du wenig-stens, die Quelle, zu der man besser geht, hast die Absicht, mir klares Wasser einzuschenken. Gut. Dass du mich we-der als einen deiner Freunde noch als einen deiner Lieb-haber oder Verehrer, dafür als einen deiner Wildhaber anerkennst und mich deswegen kühl behandelst, wem lässt du das durchblicken? Deine reizenden Töchter, die so unbeirrt schwatzhafte Erste und die bezaubernd verzau-bernde Episteme haben mich Glücklosen das bereits wissen lassen. Denn als mir sich Gelegenheit bot, und ich deine beiden Töchterchen zu einem kleinen Schmäuschen einzu-laden mich anschickte, ich Ungeschickter, wiesen sie mich mit einem ‚Nicht so gerne' schnöde ab. Deine Töchter, die sonst um keine wenigen Worte verlegen sind, so kurzsilbig zu erleben, war dabei die angenehme Ueberraschung.

Sophia: Mit oder ohne Apostrophierung?

Nikos: Beim Zeus, fast beschleicht mich der Glaube, du seiest an der Vistla zur Göttin gereift..

Sophia: Worauf die Frage hinaus will, ist, ob du Nicht so gerne mit oder ohne Apostrophierung versehen zu gebrau-chen gedenkst.

Nikos: Mit und ohne selbstverständlich. Wenn ich die Wor-te gebrauche, dann ohne; wenn ich ihrer gedenke, dann mit.

Sophia: Gut. Wer aber war es, der der attischen Zunge Mächtige, der dir das übersetzte?

Nikos: Wieland.

Sophia: Getroffen! Dieser Spitzbube und Spottschurke, dem ganz Attika auf den Fersen ist. Wehe ihm, wenn es ihn in die Finger kriegt! Solch einem Vermessenen, der es wagte, einige unserer Besten so frei, fromm und falsch zu übersetzen, und der es sich zutraute, unserem Euripides den Kranz zu entreissen, einem solchen vertraust du dich an? Du wirst doch nicht etwa. Wovon sprech' ich?

Nikos: Du Eulenäugigste aller Göttinnen, du scheinst mir auf der richtigen Fährte. Dir wird aber gewiss auch be-kannt sein, dass gerade einer der Olympier ihn gemassre-gelt hat. Nun sag' aber, wie ich es billig von dir erwarten darf, wer es denn war, der der germanischen Zunge Kun-dige, der dir und euch allen anderen das übertrug?

Sophia: Ich kann nur für mich sprechen. Wenn ich eines Dolmetsch bedürftig wäre, dann stände mir sicher Hermes zur Seite. Doch, gerade dir sei's gesagt, wer mit wer fragt, dem darf als Antwort nur ein Name gegeben werden.

Nikos: Bei der Grammatike, mich dünkt je länger je mehr, dass ihr beide in der Tat heimlich eure Köpfe zusammen-steckt und irgendetwas ausbrütet. Doch darf es Wunder einen nehmen, dass du des Germanischen mächtig bist, nach all den Jahrhunderten germanischer Verführerschaft, die ihr Unwesen trieb unter deinem Namen. Wenn ich je-doch auf deine Frage mit Niemand geantwortet hätte, wäre dadurch dem Wort gedient gewesen, dass bei den Schafen der Einäugige König ist?

Sophia: Du verblendeter Sterblicher, dein Brandpflock blendet und verletzt mir weder Auge noch Sinn, auf dass du gar leicht entschlüpfen könntest. Mir scheint, du leidest neben deiner Blindheit, Starrköpfigkeit und Eigensinnig-keit noch zudem an Taubheit. Genug des Homeros, habe ich gesagt.

Nikos: Mit oder ohne Apostrophierung?

Sophia: Schone mich! Ich werde deiner langsam müde. Fahre fort und halte dich nicht auf! Was also hast du mit meinen unschuldigen Töchtern angestellt?

Nikos: Niemand hat nichts verbrochen. Es will mir nur nun einmal nicht in den Kopf, warum deine beiden Töchterchen sich so zieren und mir die kalte Schulter zeigen, sobald ich mich ihnen etwas nähere. Als ob sie von mir eine Schandtat oder ein Verbrechen zu fürchten hätten. Anfangs waren sie einladender. Zuerst lockten und schmeichelten sie mit Blik-ken, du kennst sie und weißt, wie sie einzusetzen sind, mit schmachtenden und lockenden, und dann, nachdem ich endlich dem Schmachten Einhalt geboten und mich der Lockung ergeben hatte, meinen ganzen Mut zusammen-raffte, die Augen vom Boden auflies und sie anzusprechen wagte, da wiesen sie mich kaltsinnig ab und verächtlich zurück. Das scheint mir wahrer Göttinnen unwürdig. Es wäre denn, deine beiden eingebildeten Dinger gehörten gar nicht zum Göttergeschlecht.

Sophia: Unwürdiges für Unwürdige. Daran taten sie recht. So unbekannt, wie du glaubst, ist mir deine ganze Wer-bung nicht. Meine geschwätzigen Mädchen haben mir da-von Nachricht gegeben. Nun vernimm auch mein Urteil, die Ohren dazu hast du, wie ich sehe, wenn da nur nicht deine Schwerhörigkeit wäre! Ein Jemand, der mit dem leichten Mädchen Grammatike, von der die einen behaup-ten, es gehöre auch unter die Göttinnen, von der aber andre sagen, denen ich Glauben schenke, es sei ein gar zu leichtes Mädchen und tatsächlich eine weitherum bekannte Hetäre, die sich einem jeden um den Hals wirft, verkehrt und sein Lager bei ihr aufschlägt und mit ihr teilt, hat bei meinen anständigen Töchtern nichts zu verlieren und deshalb auch nichts zu suchen und soll zurückversetzt werden, für den Fall, dass er Besserung verspricht, oder, falls er diesem Mädchen abzuschwören nicht Folge leistet, seiner krum-men Wege zu gehen und von meinen Töchtern seine unrei-nen Blicke und schmutzigen Finger zu lassen. Wie willst du künftig mit der Grammatike umspringen?

Nikos: Der Geiz, den du in Bezug auf deine Töchterchen an den Tag legst, scheint an deinen Worten abzublitzen. Doch worauf es mich hindrängt, ist, dass die, die dir zur Ehre ihre Barthaare spriessen lassen, in der Sache, um die es sich handelt, sich von mir und deinem Vorwurf gegen mich in keiner Weise unterscheiden, so dass sie sich von mir und meinem Verhalten derart abheben würden, dass du dich in den Vorteil setzen könntest, sie gegen mich auszuspielen und mich mit ihnen auszustechen. Nehmen wir zum Bei-spiel den Platon. Gestehst du mir einen Vergleich mit ihm zu?

Sophia: Noch so gerne. Doch nimm dich in acht! Falls du hoffst, er werde dich beflügeln und auf geliehenen Schwin-gen davontragen, wirst du eines Besseren belehrt. Denn sobald du versuchst, vom Boden abzuheben, wird das die-ne Nase schmerzhaft zu spüren bekommen.

Nikos: Dir zur Beruhigung und ihm zum Gedenken, habe ich nicht vor, mir seine Flügel zu binden. Zwei unbefie-derte Füsse sollten meinem Gang ausreichen, sich in siche-ren Bahnen zu bewegen. Nun, dein Platon, hat er etwa nur und allein und ausschliesslich deiner Ersten schöne Augen gemacht oder zog er nicht auch der Episteme, deiner Zwei-ten,  seinen struppigen und zotteligen  Bart durch Gesicht, oder  nehmen wir deine Dritte, die Ethica, kitzelte er etwa nicht mit allerlei tugendhaften Versprechungen und guten Aussichten ihr die Röte in die Wangen, blühte etwa nicht der Dialectica ein buntes Lächeln, als er mit seinem ‚Sie liebt mich, sie liebt mich nicht, sie liebt mich, ...'? ihrem Kränzchen zusetzte? Selbst der Grammatike fiel er, als Jüngling zwar, wie man sagt, dafür desto hurtiger und hef-tiger, auf die Matte. Niemand, nicht einmal du, vermöchte all dies zu leugnen. Nun möchtest du mir weiss machen, nicht umhin zu können, das, was du einem deiner verehrtesten Verehrer durchgehen zu lassen geneigt bist, als Tugend vielleicht und Weisheit gar, mir in keiner Art und Weise zu gestatten bereit dich erweisen willst.  

Sophia: Genug der Rede, du unverbesserlicher Kerl! Das Sprichwort anzuführen, das hier am falschen Platze wäre, schenke ich dir, vor allem aber mir. Du kennst es sicherlich. Wenn nicht, dann trügest du auch keinen Schaden davon. Wie dem auch sei, merke dir eines für alle Zeit: Platon ist Platon. Ein Philosoph ist ein Philosoph. Und du, Nikos, bist Du, Nikos.

Nikos: Was wahr ist, ist wahr. Das ist wahr. Dabei fällt mir die Geschichte eines Scharlatans, eines in bestem Rufe ste-henden Sophisten, wenn dich diese Bezeichnung treffender dünkt, ein. Dieser Wortverdreher, in dessen Gefolge eine ganze Menge Vollbärte, Dreitagebärte, Schnurrbärte und noch weitere Schnäuzelchen sich mit einer Unzahl an blank geputzten Argumenten herumtreibt, hält seine Gefolgs-schaft und Zuhörer mit windigen Sätzchen, von denen eines ich dir gleich zu einer kleinen Kostprobe nachrei-chen will, bei Weisheit und Laune. Also dieser Sophist be-hauptet zum Beispiel, wenn mich meine Erinnerung nicht ganz im Stiche lassen sollte, nichts weniger als Sachen der Art: Sokrates und Platon machen zusammen Sokrates und Platon aus. Und dergleichen Zeug's mehr. Wie denkst du darüber, du Weiseste der Göttinnen?

Sophia: Deine Geschichte, vor allem das Pröbchen, weckt in mir wunderbare Erinnerungen an die Rauchopfer, die ei-ner meiner inständigsten und inbrünstigsten Liebhaber mir im Tempel zu Harvard fleissig darreicht. Wie ist es mir doch jedesmal um Kopf und Herz geschehen, wenn der Be-sagte eines seiner Aufsätzchen oder eines seiner Büchlein opfert! Wie lehne ich mich abwechslungsweise vor, um den dichten und kräftigen Rauch einzuatmen, und zurück, um ihn wieder auszuatmen! Welch ein Schmaus! Welch ein Fest und welch eine Freude! Welch ein Mahl, das einer Göttin würdig! Besser als jeder Nektar und alle Ambrosia, die mir sowieso zum Halse heraushängen! Wenn da nur nicht all diese ihn beorakelnden Parteigänger und chal-däergleichen Auguren wären, die ihn auf Schritt und Tritt verfolgen und, gleich kleiner, unerfahrener Kinder an sei-nen Lippen hängend, jedes seiner Worte begierig absau-gen, im Munde umdrehen und wieder ausspucken, zuwei-len dem Gegenüber mitten ins die Gesicht. Deren abgestan-dener und ranziger Gestank verursacht mir nur heftigste Uebelkeit und Kopfschmerzen und deren stechender und stickiger Rauch schwärzesten Schwindel. Was für eine Fol-ter! Welch ein Graus! Welch Qual!

Nikos: Du Leidgeprüfteste der Göttinnen, da ich dich zum Teil nach meinem Geschmacke reden höre und du dich in schlechte Laune geredet zu haben scheinst, will ich ver-suchen, deine Stimmung wieder etwas zu heben, und frage dich also: Wenn du mir auch deine Erste und deine Zweite vorenthälst, so könntest du vielleicht deine Dritte, die Ethi-ca, anhalten, sich mir ein wenig empfänglicher und freund-licher zu geben, und sie mir zuhalten?

Sophia: Meine Dritte, mein grösstes Sorgenkind? Bei den beiden andern Töchtern hege ich noch Hoffnung, sie eines schönes Tages an einen, ihrer würdigen Liebhaber zu ver-geben, auch wenn dieser ein Verehrer einer meiner ältesten Töchter, der Mathematike, sein wird, wie leidvolle Erfah-rung mir aufzwingt anzunehmen. Bei meiner Ethica habe ich beinahe schon alle Zuversicht fahren lassen. Verehrt und umgarnt wird sie zwar von gar vielen mit noch viel verheissungsvolleren Worten, als sie aufzubringen Platon imstande wäre, doch sobald es darum geht, den darge-reichten blumigen Wortgebinden die entsprechenden Ta-ten folgen zu lassen, machen sich diese ehrlichen Liebhaber aus dem Staub. Und so, sobald es ernstlich zur Sache geht, bleibt sie immer allein zurück. Sie, die ihrer Naturanlage nach schon so spröd und abweisend ist und der nichts gut genug scheint, dass es getan werde, immer Zweifeln nach-hängend, ob sie nun das oder jenes oder nicht jenes, dafür dies, wenn nicht das andre, so doch eines, es sei denn, dass gar beides, wenn nicht nur eines, oder weder das eine noch andre, wofern nicht sowohl dies als auch das überhaupt das Beste wäre. Sie also sollte ich gerade dir anvertrauen, damit sie zum Schaden nicht auch noch den Spott zu besor-gen bräuchte? Schlag es dir auch nur mit einem meiner Mädchen für immer aus dem Kopf! Wag es anderswo!

Nikos: Wahrlich, der Staub, den diese Sorte Leute, denen du eben erwähnt hast, aufwirbeln, scheint dir den Blick mehr als zu verschleiern. Denn sonst müsstest gerade du erkennen, dass ich ein erklärter Feind solcher uneigen-nütziger Reisbesen bin, denen vor allem daran gelegen ist, mit ihrem Ausputz an Worten anderen den Blick zu trü-ben, auf dass sie, wenn es zur Tat kommen sollte, sich im aufgewirbelten Wortstaub desto unkenntlicher und besser davonmachen können. Diesen Herren sind Worte allein Ta-ten genug.

Sophia: Halt ein und bedenk, dass die, denen du feind bist, mir freund sind!

Nikos: So sei's. Um den Pfeil, den wir vor der kleinen Abschweifung auf den Bogen gelegt haben, endlich seinem Ziel zuzuschicken, wollen wir, es sei denn, du hättest einen Einwand dagegen, zu dem, den du als einen deiner fleissig-sten Darbringer von Rauchopfern bezeichnet hast, zurück-kehren. Wenn ich das Wort Rauch nur höre, tränen mir schon die Augen. Du hast behauptet, wenn ich nicht fehl-gehe, er opfere an deinem Altar, und seine Rauschopfer erfüllten dir unsäglich Kopf und Herz und versetzten dich gleichsam in einen göttlichen Rauch.

Sophia: Deine Worte sollen die meinen sein.

Nikos: Du schmeichelst. Nun gut. Setzen wir den Fall, dass ein Jemand äusserte Sokrates allein ist Sokrates. Welchem Gott oder welcher Göttin, deiner Ansicht nach, brächte so ein Niemand diesen Satz zum Opfer dar? Dir oder einer andern Gottheit?

Sophia: Augenscheinlich mir, wenn er in einem Tempel, der mir geweiht, opferte.

Nikos: Wenn derselbe denselben Satz aber in einem Tem-pel als Opfer darreichte, der einer andern Gottheit als dir geweiht worden wäre, wem dann?

Sophia: Der andern Gottheit. Aber worauf zieltest du mit deinem Pfeil ab, da der Bogen ihn nun einmal losliess?

Nikos: Auf die Gottheit, die mit solch einem Satz geehrt werden soll, nicht aber auf den Tempel, in dem Sätze dieser Art geäschert werden. Sollte sich tatsächlich so ein Niemand in einem der Erdenkreise finden lassen, der zum Beispiel behauptete, dass Sokrates allein Sokrates ist, und diese Behauptung in deinem Tempel dir zum Opfer bringen wollte, dann drängte es mich anzunehmen, dass solch ein Uebeltäter sich eines grossen Vergehen schuldig machte. Nicht zuletzt auch deswegen, weil er andere durch seine Untat verführte, etwas gleiches oder ähnliches zu tun. Also, was ich diesem, deinem Verehrer, wie du ihn be-zeichnest, vorzuwerfen habe, ist, dass er sein Räucherwerk im falschen Tempel der richtigen Gottheit oder im richtigen Tempel der falschen Gottheit abbrennt. Die ihn Umste-henden bestaunen die Opfergabe und wollen nicht klug daraus werden. So kommt es, dass der eine den andern um Belehrung angeht und ein Wort das andre gibt. Womög-lich, wenn die Verwirrung alle Grenzen überschritten und gesprengt hat, wird das Wortgemenge derart aufgebläht und aufgeblasen, dass dadurch die Eröffnung einer neuen, noch unbekannten Sekte als unumgänglich ins Leben geru-fen und ausposaunt wird. Und das alles infolge eines miss-verständlichen und tatsächlich missverstandenen Opfers.

Sophia: Der weite Bausch deiner Rede verdunkelt beinahe vollständig meinen Sinn. Raff ihn also zusammen, damit ein wenig mehr Licht mir deine Sache eingängiger erhelle.

Nikos: Der Verehrer, der dir im Tempel zu Harvard win-dige Opfer bringt und von dem du so begeistert gespro-chen und ihn als einen deiner wahren und liebsten Lieb-linge bezeichnet hast, diesen Verehrer, der mir nur als ein Scharlatan und Verführer unterkommt, und seinen An-hang klage ich des Vergehens an, mit Behauptungen der Art Sokrates allein ist Sokrates und Sokrates und Platon zusammen machen Sokrates und Platon aus und Geist und Welt zusammen machen Geist und Welt aus unter Vortäuschung nichtswürdiger Tatsachen der falschen Gott-heit ihre Ehrerbietung zu erweisen und dadurch den Ver-stand ihres Anhangs und besonders den der Sophia selbst, der sie vorgeben zu opfern, in dichtesten Nebel einzu-hüllen. Welcher Gottheit aber bringt dein Liebhaber seine köstlichen Gaben dar? Es ist keiner andern als der Logike. Er geht in dem dir geweihten Tempel fremd. Meinesteils sollten alle die Schriftgelehrten, die derartigen Unfag trei-ben, aus allen Tempeln verjagt und verbannt werden.

Sophia: Dein Sermon macht mich lachen. Wenn dem so wäre, wie du sagst, welche Art von Sätzen könnten die meinen Liebhaber mir noch zum Opfer bringen? Sie opfer-ten entweder der Logike oder der Mathematike oder der Poietike oder einer andern, von mir verschiedenen Gott-heit. Ich bliebe so ohne alle Gaben. Was Wunder, scheuen meine Töchter dich, wenn sie dich so sprechen hören und deshalb vermuten müssen, du habest ihnen viel, aber auch gar nichts zu sagen und überhaupt nichts anzubieten.

Meine Zeit ist um. So lebe wohl!



                       Viktor Wildhaber



   



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