Wir wissen es alle. Sei's ein Kampf mit Keulen in alten Höhlen oder das völlige Vernichten eines virtuellen Dorfes an einem Bildschirm. Sei's der Umgang mit Anhängern der anderen Fussballmannschaft oder das Umbringen einer Person in der falschen Uniform: was auch immer das genaue Beispiel sein mag, wenn es gewalttätig und aggressiv wird, sind Männer besser.

Aber warum bloss ist das so?

Spätestens seit vor ein paar tausend Jahren der erste Stier zum Ochsen gemacht wurde, ahnt die Menschheit, dass es da etwas ganz konkretes geben muss, dessen Fehlen oder eben Anwesenheit etwas mit Aggressivität zu tun haben muss. Dieser Stoff, der in den Hoden, oder auf lateinisch Testes, produziert wird, ist jetzt als Testosteron bekannt. Testosterone gehören zur Klasse der Steroiden, fettlöslichen Hormonen, die vielfältige Wirkungen haben, an Proteinrezeptoren in den verschiedensten Zelltypen binden und dort die Aktivität von Genen beeinflussen.

Aber was hat dieses Testosteron nun mit Aggression zu tun?

Es sind auf den ersten Blick ganz augenfällige Verbindungen:
- Männer haben im Schnitt einen höheren Testosteron-Wert im Blut als Frauen, und Männer sind im Schnitt aggressiver als Frauen.
- Zu jenen Zeiten im Leben, wenn Männer von Testosteron überschwemmt werden, wie zum Beispiel in der Pubertät, ist auch die Aggressivität höher.
- Bei vielen biologischen Tierarten sind die Hoden nur während einer ganz bestimmten Zeit im Jahr aktiv, schütten dann aber Testosteron in hohen Mengen aus - und das ist genau dann, wenn die Aggressivität zwischen Männchen am höchsten ist.
Das heisst, wenn irgendwo Aggression passiert, ist Testosteron auch am Tatort und hat kein vernünftiges Alibi.

Das sind aber alles nur Hinweise, dass Aggression und Testosteron in einer irgendeiner wechselseitigen Beziehung stehen, aber bewiesen ist damit noch nichts. In der Wissenschaft, die sich mit Hormonen beschäftigt, der Endokrinologie, wird ein solcher vermuteter Zusammenhang mit 'Subtraktionsexperimenten' geprüft. Das heisst, man entfernt das entsprechende Hormon, schaut, was passiert, setzt dann das Hormon wieder ein und schaut wieder, was passiert. In unserem Fall heisst das: eliminiere die Quelle von Testosteron - eine Kastration - und die Aggression wird typischerweise massiv zurückgehen. Injiziere dann synthetisches Testosteron bis zu normalem Niveau, und Aggression wird zurückkommen. Und das wird bei solchen Versuchen immer wieder herauskommen: wenn man gutbezahlte Probanden kastriert und anderen eine vierfache Dosis Testosteron injiziert, werden mit grosser Wahrscheinlichkeit die mit zusätzlichem Testosteron die aggressiveren sein. Für die Endokrinologie ist das ein schlagender Beweis, dass dieses Hormon kausal an aggressivem Verhalten beteiligt ist.

Aber was sagen uns solche Versuche über das wirkliche Leben? Über das wirkliche Leben, in dem wir ja nicht die halbe Menschheit mit Messern oder Hormonzugaben manipulieren können?

Wenn wir in verschiedenen - freiwilligen - Testpersonen die Testosteronkonzentrationen messen, finden wir, dass zwar nicht immer, aber im allgemeinen diejenigen mit höherem Testosteron-Wert auch die aggressiveren sind. Das heisst, wir können auch im wirklichen, unmanipulierten Leben einen Zusammenhang beobachten zwischen Testosteron und Aggressivität.

Aber auch jetzt können wir das immer noch auf mindestens drei verschiedene Arten erklären: erstens könnte Testosteron zu höherer Aggression führen; zweitens könnte, umgekehrt, Aggression zu höherer Testosteron-Ausschüttung führen; drittens könnten die beiden nur indirekt etwas miteinander zu tun haben. (Wir alle kennen die klare statistische Korrelation von Storchennestern und Kindergeburten und wissen trotzdem, dass hier ein zumindest etwas komplizierterer Zusammenhang besteht.)

Während zwar die erste Erklärungsweise eine betörende Einfachheit aufweist, zeigt doch eine Studie nach der andern etwas anderes. Wenn man in Tierversuchen bei Männchen den Testosteron-Pegel misst, bevor sie zum ersten Mal in eine Gruppe zusammengebracht werden, sagt dieser Wert nichts, aber auch gar nichts darüber aus, welches Männchen dann in der Gruppe das aggressivere sein wird.

Mit zwei Beispielen möchte ich hier dafür plädieren, dass diese Wechselwirkung zwischen Aggression und Testosteron eine sehr komplexe und subtile ist.

Das erste Beispiel: es ist nicht nur so, dass ein Testosteronwert wenig darüber aussagt, wer später aggressiv werden wird. Vielmehr sind es zu einem mindestens ebenso grossen Ausmass die dann folgenden Verhaltensmuster und Erfahrungen, die die Hormonausschüttung regulieren!
- Versuche mit Mäusen zeigen, dass das Erleben einer feindlichen oder freundlichen Situation die Ausschüttung von Testosteron beeinflusst. Mäuse, die in eine unbekannte Gruppe plaziert werden und dort furchtbar unter die Räder kommen, haben noch Wochen später einen tieferen Testosterongehalt im Blut (dieser kann dann allenfalls durch die Gesellschaft eines Weibchens wieder erhöht werden), während Männchen, die sich erfolgreich gegen einen solchen Angriff haben wehren können, erhöhte Testosteronwerte zeigen. Erfolg scheint die Ausschüttung von Testosteron also zu begünstigen!
- Menschen können und dürfen für experimentelle Zwecke nicht einfach beängstigenden Situationen ausgesetzt werden. Hingegen ist Sport ein leicht zu untersuchender, standardisierter Ersatz für einen realen Kampf. Sportler, die bei einem wichtigen Anlass auf Testosteron untersucht werden, zeigen kurz vorher einen leicht erhöhten Testosteronwert. Nach dem Match hingegen steigt er bei den Gewinnern signifikant an, während er bei Verlierern absinkt. Das ist nicht nur bei physisch anspruchsvollen Tätigkeiten so, sondern kann z.B. auch bei Schachspielern oder bei Probanden in psychologischen Experimenten beobachtet werden. Und es geht noch weiter, diese Kurve sieht man auch bei Personen, die nicht direkt ins Geschehen involviert sind. Nach dem Fussball-WM-Final 1994 zum Beispiel, in dem Brasilien Italien geschlagen hat, hatten brasilianische Fans, die das Spiel am Fernsehen gesehen hatten, einen signifikant höheren Testosteronwert, während er bei italienischen Fans gefallen ist.

Das zweite Beispiel: wir bringen eine Gruppe von Rhesus-Affen zusammen, warten, bis sich die Hierarchien gefestigt haben, und schauen dann den z.B. dritthöchsten Affe an. Dieser kann sich der Nummer 4 und 5 gegenüber alles erlauben, kann ihnen das Futter rauben, sie von den besten Schlafplätzen vertreiben, sie ärgern, ganz wie es ihm gefällt. Gleichzeitig wird er sich aber der Nummer 1 und 2 gegenüber äusserst unterwürfig, geduldig und aufmerksam verhalten. Jetzt injizieren wir diesem Affen Testosteron, Tonnen von Testosteron. Und, wir haben es geahnt, er wird tatsächlich wesentlich aggressiver sein. Aber, und das ist jetzt wichtig, er wird sich den beiden ranghöheren Männchen mit der gleichen Unterwürfigkeit nähern, wie er das vorher gemacht hat, aber zu den rangniederen wird er sich als absoluter Schweinehund aufführen. Das heisst, nach dieser Testosteron-Überdosis wird er nicht einfach unspezifisch aggressiver und wild um sich schlagen und beissen, sondern es wird jene Aggression verstärkt, die vorher schon da war.
Zum gleichen Ergebnis kommt man mit biochemischen Versuchen. Die Injektion von Testosteron in jene Region des Gehirnes, in denen es seine normale Wirkung entfaltet, wird nur dann zu einer erhöhten Aktivität jener Gehirnregion führen, wenn der entsprechende Mechanismus schon aktiviert war! Extern zugeführtes Testosteron löst also keine Aggressivität aus, verstärkt aber schon vorhandenes aggressives Verhalten.

Es ist also einmal mehr so. Je mehr wir über die Zweiteilung zwischen Biologie und Umgebung, zwischen 'Nature' und 'Nurture' nachdenken, desto klarer ist, dass diese Zweiteilung wenig hilfreich, eher sinnlos und im schlimmsten Fall gar gefährlich ist. Testosteron ist zwar eine wichtige, aber doch nur eine Blüte im farbigen Bouquet von möglichen Aggressionsformen und -ursachen. Im Zusammenspiel mit anderen Hormonen und natürlichen Botenstoffen, mit genetischen Einflüssen und Auswirkungen der individuellen und kollektiven Erfahrung ist die Formel 'Testosteron gleich Aggression' mit Bestimmtheit viel zu einfach für etwas so Komplexes wie menschliches Verhalten.

 

 

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