Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer

"In principio erat Verbum et Verbum erat apud Deum et Deus erat Verbum - Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort"

"Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei" - oder könnten es gar zwei Anfänge sein? Dies alles ist doch nur eine Frage der Perspektive.
Wer Anfang sagt, sagt auch Ende. Wer Anfang sagt, der nimmt an, dass etwas vor dem Anfang "nicht war", was nach dem Anfang "ist".
Das Wort "Anfang" hat in vielen Sprachen eine doppelte Bedeutung. So etwa das griechische "arche" und das lateinische "principium". Die erste, herkömmmliche Bedeutung meint "Beginn, Anfang, Ursprung" während die zweite "Herrschaft und Macht" umschreibt. Von diesem zweiten Bedeutungsfeld leiten sich beispielsweise die Wörter "monarchos - der Monarch und princeps - der Fürst" her.

Dem Anfang wohnt also Kraft inne. Wer den Anfang besitzt, wer ihn iniziert, hat also auch Macht. Emminent praktisch hat hat Lenin diese Einsicht vertreten, wenn er zum Thema Revolution meint: "Dort, wo in einem Kreis überzeugt Zukunft gedacht wird, da liegt auch der Kern, der Beginn der Revolution".

Der weitere Bedeutungshorizont von "Anfang" kann sich uns erschliessen, wenn wir Synonyme und bedeutungsverwandte Worte betrachten, so etwa: "Be-ginn, Auf-bruch, Ur-sprung, Start, Ent-stehung, oder auch los-lassen, los-rennen".
Was sofort auffällt, sind die Praefixe "Be-; Los-; Auf-; Ur-; Ent-. Sie können uns also einen wertvollen Hinweis geben: Hier geht etwas "los", "be-ginnt", "bricht auf", "ent-steht" etwas.
Das Wort "Anfang" ist ein mächtiges Wort, weil es eine Dynamik weckt, als ob etwas erwachte, was zuvor noch schlummerte!
Auf Lateinisch heisst "incipio" ich beginne, von daher scheint "pr-incipium" nur eine Synkrasis zu sein von "primum - incipium" - zu "principium" - "erster Anfang", was wir auf Deutsch am besten mit "Ur-sprung" widergeben können. "Ur-sprung, Ur-knall" meint also das, womit, worin etwas begonnen hat. Etwas ist losgesprungen am Anfang.

Der Poet sagt: "Jedem Anfang wohnt ein besonderer Zauber inne". Dieser Zauber ist die Kraft oder die Macht des Beginnenden. Ist dies wiederum nicht das Anheben zu dem, was nachher "fängt". Am Anfang ist alles noch offen, alles möglich, alles denk- und machbar. Doch hat der Prozess einmal ange-fangen, so drängen sich immer mehr Notwendigkeiten in den Vordergrund. Die Möglichkeiten schwinden zusehends durch das Notwendige. Das Notwendige hebt also an, die Möglichkeiten zu fangen, sie in das Gefängnis der Notwendigkeit zu stecken. Darum hat der oder die, welche über den Anfang verfügen noch alle Möglichkeiten, die durch die kommende Verknüpfung vernotwendigt, bestimmt und begrenzt werden. Anfang ist demnach ohne Grenze, unbeschränkt. Wer am Anfang schafft, schöpft, spricht, handelt oder denkt, hat gleichsam die Möglichkeit, alles zum ersten Mal springen zu lassen: Ur-sprung.

Aber was ist es denn, was da losspringt, was da ent-springt wie aus einer Quelle, was da Ursprung gründet? Ist es nicht das, was der, der den Anfang in Hönden hat, los-lässt, von sich frei gibt, loslassen kann. Der den Anfang in Händen hält, kann und will offenbar etwas los-lassen. Steht solche Ur-sprünglichkeit nicht in der genialen Intuition des Neuplatonikers Plotin, der den Ur-sprung von allem in das eine Urprinzip des "hen" legt, aus dessen Fülle alles hervorsprudelt: "primum unum et unicum principium".

Damit stellt sich aber zumindest eine nächste grundlegende Frage: Gibt es denn EINEN Anfang von allem? Oder sind es jeweils nur verschiedene Anfänge, die mehr oder weniger die je neue Auflage des immer Gleichen sind, Teilanfänge, Teilbeginne, die etwas Vorheriges mit einem mehr oder weniger grossen Bruch erneuern, überholen, veraltet werden lassen und Paradigmenwechsel mit sich bringen - wie etwa das Zeitalter des Wassermannes?
Am Anfang stehe das Wort und das Wort sei göttlich - ja sogar Gott selber, meint Johannes in seinem Evangelienprolog. Enthält demnach das Wort jenes Unbegrenzte, jenes "alle Möglichkeiten in sich bergende", von dem Heidegger sagt, es sei "ein Verhülltes", weil die, die im Prozess nach dem Anfang stehen, das Ende noch nicht sehen. Anfangs stellt sich also die Frage nach dem Ende und ebenso nach der Zeit. Wenn es einen Anfang der Zeit gab, was wäre dann vor der Zeit - und ihrem An-fang? "Ewigkeit", sagen wir Theologen schnell, aber was ist denn Ewigkeit? Könnte hier "Ewigkeit" etwa Bedingung der Möglichkeit von An-fang schlechthin sein?

Darauf hin deutet, dass am Anfang noch etwas von dem Unbegrenzten, noch nicht Eingefangenen fassbar wird, was im Ge-fängnis von Raum und Zeit unwiderruflich dem Ende entgegenläuft.

Daher gibt es also nur EINEN eigentlichen Anfang, etwa mit "prin-cipium" zu bezeichnen. Alles andere, was im Kontinuum von Raum und Zeit steht, ent-steht und ver-geht - "incipit und finit", aber nur als Teil des einen grossen "principit, primum-initium - principium". Was also wirklich am Anfang war, würde ich systematisch "principium" nennen, alles andere Werden innerhalb von Raum und Zeit "initium". Dennoch scheint das eine mit dem andern unlösbar verknüpft und verbunden: Was von aussen gesehen "initium" eines Menschen ist, sein Werden im Mutterleib und seine Geburt, ist zugleich "principium" für ihn selber! Individuelles "principium" und "initium" eines Phänomens in der Menschheitsgeschichte zugleich. Auch in diesem individuellen principium steht das Wort unergründlich, nicht im "initium" gebunden und gefangen in der Notwendigkeit unserer Endlichkeit. Wittgenstein meint: "Worüber man nicht reden kann, soll man schweigen". Vielleicht zwingt uns das Wort der unbegrenzten Möglichkeiten des "Anfanges" zum Schweigen, sind wir doch Gefangene des initium. Durchschlagend einfach und praktisch wie Lenin formuliert dies die bekannte Mutter Theresa:

"Die Frucht der Stille ist das Gebet,
die Frucht des Gebetes ist der Glaube,
die Frucht des Glaubens ist die Liebe,
die Frucht der Liebe ist das Dienen".

Der wirkliche Anfang dient dazu, uns in die Stille des Schweigens zu verweisen. Dort mag das Wort der unbegrenzten Möglichkeiten Gebet werden, Einsicht in den Zusammenhang von initium und principium. Nach alter Überzeugung geschieht in der oratio "re-creatio", Neu-schöpfung, schöpferischer Neubeginn, Erfahrung von "in principio" weil Mögliches und Notwendiges sich entwirrt, Notwendigkeit Möglichkeiten in die ursprüngliche Freiheit entlässt.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

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