Hierbei handelt es sich um ein Todeskonzept, einen Partialtod, der des Gehrins.
Die aussergewöhnliche Relevanz der Kontroverse um den Hirntod liegt im Organbegeheren.
Die Anerkennung der Gleichsetzung von Hirntod und Tod des Menschen entscheidet für den Fortbestand des Transplantationswesens.

Im Zentrum der politischen - philosophischen - und medizinischen Diskussion steht die Kontroverse, ob der Ausfall der Hirnfunktionen als Todeszeitpunkt anzuerkennen ist, Organentnahmen somit bei sterbenden oder toten Menschen durchgeführt werden können.
Es öffnen sich folgende Fragen:
wer oder was stirbt? - damit offenbart sich ein Menschenbild, das sich in dem Todeskonzept widerspiegelt
was ist Tod? - die Definition liefert den Begriff des Todes
woran lässt sich der Tod erkennen? - hierfür wurde versucht diagnostische Kriterien zu schaffen, welche den Sachverhalt, den Todeseintritt markieren
wie lässt sich Tod nachweisen? - bedingt die Auswahl geeigneter medizinischer Untersuchungesmethoden um den Hirntod festzustellen

 

Geschichte der Hirntodkriterien

Mitte des 20. Jahrhunderts kam es durch die Entwicklung von Herz-Lungenmaschienen zu entscheidenden Wandel der medizinischen Möglichkeiten. Der Herzstillstand kann potentiell mittels Reanimation und der Atemstillstand durch die künstliche Beatmung mit anschliessender intensivmedizinischer Betreuung überwunden werden.

1959 veröffentlichte der Neurologe Jouvet eine Fallstudie von 4 Patienten, die nach einer schwersten Hirnverletzung beatmungspflichtig werden und in der Ableitung der Hirnstromkurven eine 0-Linie aufweisen. Der Neurologe schlägt vor, nach 24h andauenrder-0-Linienkurve, die weitere Behandlung abzubrechen. In den durchgeführten Sektion zeigen sich regelmässig aufgeweichte, zersetzte Gehirne. Nach zeitgenössischem Verständnis sind jedoch die Patienten nicht tot, da Atmung und Kreislauf durch Maschienen aufrecht erhalten werden. - Der Zustand wird als Koma dépassée bezeichnet.
1964 wurde erstmals der Begriff Hirntod verwendet.
1967 wird der Begriff klar vom bis mit dem Tod identischen Herztod (der fehlenden Herzaktivität und Pulslosigkeit) abgegrenzt. Paralell dazu entwickelt sich die Transplantationsmedizin.
1954 gelingt dem Chirurgen Murray erstmals eine Niere zu verpflanzen.
1985 werden die ersten Medikamente gegen die Abstossungs-reaktionen eingesetzt. Organschäden werden durch die Fortsetzung der Organdurchblutung mittels externener Herzmassage und Beatmung angegangen.
1967 wagt Barnard die Pioniertat und explantiert das Herz der 25-jährigen Denise Ann Darvall, die nach einem Verkehrs-unfall eine nicht mehr schwerwiegende Kopfverletzungen erlitten hat. Der Empfänger überlebt den Eingriff nur 18 Tage und stirbt an einer Lungenentzündung. Wenn bisher nur zwei Personen in eine Heilbehandlung einbezogen waren (Arzt/Patient) so sind es nun ein Dritter (unbeteiligter, der sterben muss).
1968 geben medizinische Gremien verschiedener Länder Erklärungen zum Hirntodkriterium ab. Am einflussreichsten ist die Publikation Harvard Medical School, welche sich auf folgende Kriterien stützt: Bewusstlosigkeit, fehlende Spontanatmung, fehlende Reflexe (dazu gehören zB. Husten- und Pupillenreaktion), 0-Linien-EEG.
1972 übernimmt das amerikanische Bundesgericht die Richtlinien

 

Was sind sind die Motive zur Etablierung des Hirntodkriteriums?

Durch die internsivmedizinischen Möglichkeiten wird die Eindeutigkeit der Grenze zwischen Leben und Tod variabel.
Der Herz-Kreislauf-Tod verliert seine determinierte Funktion und wird zur manipulierbaren Variablen und somit zum Agitationsfeld der modernen Medizin. Das künstlich Produkt der intensivmedizinischen Bemühungen ist das irreversible Koma. Bei nun infauster Prognose wird der Behandlungsabbruch (der den unmittelbaren Tod des Betreffenden zur Folge) hat zum ethischen Dilemma. Durch die Harvard-Erklärung von 1968 wird somit das irreversible Koma zum Hirntod, und der Hirntod zum neuen Todeskriterium.
Bei nun nicht mehr eindeutigen Grenzen zwischen Leben und Tod werden durch diese durch die Definition wieder hergestellt UND mit der Gleichsetzung von Tod und Hirntod entfällt auch der Vorwurf der aktiven Tötung durch die Explantation lebenswichtiger Organe.
An sich liess sich ein Behandlungsabbruch durch eine infauste Prognose legitimieren, sodass die Einführung eines NEUEN Todeskriteriums, eben des Hirntodes, nicht zwingend wäre. Aber die Transplantationsmedizin erweist sich als die entscheidende Triebfeder der Neudefinition des Todeszeitpunktes.

Das Sterben als auch der Hirntod ist nicht ein punktuelles Ereigniss, sondern der Endzustand einer Entwicklung, die über mehrere Stunden (12-36 Stunden) erfolgt und verschiedene Zwischenstufen durchläuft.
- gewisse Reflexe, die auf durch das Rückenmark reguliert sind können bis über längere Zeit hinaus sogar markant verstärkt sein
- der Blutdruck ist auch auf Rückenmarksebene reguliert und ist somit von der zentralen Regulation weitgehend unabhängig
- ebenso der Herzschlag, welcher verlangsamt ist
- die Körpertemperatur wird erhalten und sinkt bis ca. 32ºC ab
- Hormonspiegel sind nicht mehr zirkadian moduliert können aber über längere Zeit in unveränderter Konzentration nachgewiesen werden
Durchaus eines Einwandes wert, ist auch die Ueberlegung, dass auch nach der Feststellung des Todes anhand des Kriteriums "Herz-Kreislauf-Stillstand" im Leichnam noch Prozesse stattfinden, die in biologischer Betrachtungsweise dem Leben zuzuordnen sind. Beispielsweise ist es auch nach mehreren Tagen möglich Stoffwechselaktvierung von Bindegewebszellen nachzuweisen. Spermien sind ca. 70 Stunden nach Todeseintritt noch lebensfähig.

1986 äussert sich der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer Deutschlands folgendermassen zum Hirntod:
Mit dem Organtod des Gehirns sind die für jedes personale menschliche Leben unabdingbaren Voraussetzungen, ebenso aber auch für alle das eigenständige körperliche Leben erforderlichen Steuerungsvorgänge des Gehirns endgültig erloschen.
Der Tod wird demnach definiert als unwiederbringliches Erlöschen des personalen menschlichen Lebens und des integrativen Vermögens zum eigenständigen körperlichen Leben.
Birnbacher beschreibt 1983 beschreibt im Werk "wann ist der Mensch tot": Der Tod des Menschen als endgültiger Verlust der Bewusstseinsfähigkeit wie auch seiner Körperfunktionen (soweit diese zentral gesteuert sind).
Daraus erwachsen aber weitgreifende Zweifel. Wie können für das Bewusstsein verantwortliche Hirnstrukturen festgelegt und im diagnostischen Test abgefragt werden, wenn kein Konsens darüber besteht, was Bewusstsein ist?
Die konstruiert anmutende Todesdefinition verspricht zunächst Schutz vor weiterer ethischer Erweichung.
Die Konsequenz der Etablierung eines Bewusstsein und Kognition orientierten (Teil)Hirntodes wäre allerdings fatal und die ethische Legitimierung ungleich schwerwiegend. Ausserordentlich demente Menschen könnten demzufolge zur Explantation freigegeben werden.
Ein solch Teil-orientiertes Hirntodkriterium wird sich wahrscheinlich nicht in absehbarer Zukunft etablieren, da die anatomische Zuordnung von Bewusstsein und Kognition bislang (noch)nicht möglich ist.

Abschliessend:
Die medizinische Wissenschaft gibt heute nicht mehr nur eine Auskunft über die Frage, wann der Mensch tot ist, sondern auch, was der Mensch ist. Das Leben wird auf HIRNLeben eingeschränkt.
Die aktuelle Kontroverse beruht somit grundsätzlich auf der eigentlich philosophischen Grundfrage, welche Eigenschaften das Menschsein ausmachen.

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