Willkommen zu "tischreden". "tischreden" hiesse heute besser Grabreden. Geladen sind Sie nämlich nicht zu einem süssen Abendmahl, an dem die Musen der Philosophie besungen würden, sondern zu einem Leichenmahl, an dem wir festlich das Leben zu Grabe tragen.

Ihre allfällige Frage, warum wir, Alexander & Alexander, gerade den Tod als Thema gewählt haben, will ich - Sie gestatten - totschweigen. Viel eher will ich Sie fragen: Haben Sie heute schon gelebt?

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Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht. […] [TLP, 6.4311]

So schreibt Ludwig Wittgenstein im Tractatus logico-philosophicus, und so hiess es auch in der Einladung. Eine Bemerkung, über die man bei der Lektüre leicht stolpert - hört man doch: Der Tod gehört zum Leben.

Der Tod ist aber nach Grimm "die Auflösung des Lebens" [Grimm, 538], per definitionem also der Augenblick, wo ich nichts mehr erlebe. Also erlebe ich den Tod nicht, der Tod gehört nicht zum Leben. Oder mit Epikur, der hierin Wittgenstein vorwegnimmt: "Solange wir da sind, ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr" [Epikur, Ep. ad. Men.]. Und auch Montaigne sagt: "Ihr habt euch weder tot noch lebend um ihn zu bekümmern. Lebend, weil ihr seid; tot, weil ihr nicht mehr seid" [Montaigne, 28]. Das leuchtet ein, denn gerade diese Diagnose vermag ich mir selbst nicht zu stellen. In aller Regel brauche hierzu einen Arzt, der zwar nicht mehr mir, so doch den Hinterbliebenen sagt, dass ich nicht mehr bin. Ich erlebe den Tod nicht. Ich rede heute - lässt sich folgern - über etwas, wovon ich keine Ahnung habe.

Wie mit dem Tod verhält es sich auch mit dem Zur-Welt-Kommen. Den Augenblick, wo mein Leben beginnt, erlebe ich ebenso wenig. Anfang und Ende meines Lebens sind mir verborgen. Was mir bleibt, ist die Spanne dazwischen, ein Dazwischen, dessen Ränder für mich im Dunkeln bleiben - und seltsam genug: Wenn ein Dazwischen einen Anfang und ein Ende voraussetzt, so muss ich sagen: Das Leben ist nicht einmal ein Dazwischen. Mein Leben ist grenzenlos - eine Ewigkeit.

Beruhigt Sie das?

Auch wenn der Tod kein Ereignis des Lebens ist, werden Sie nun sagen, so lehrt er uns doch das Fürchten. (Der Tod lässt sich nicht mit der Logik der Begriffe erschlagen.) Gehe ich über eine viel befahrene Strasse, so schaue ich ganz selbstverständlich zuerst nach links und nach rechts. Auch springe ich frühmorgens nicht einfach aus dem Fenster, sondern steige Schritt für Schritt die Treppen hinunter. Tot oder lebendig - irgendwie ist mir das nicht gleichgültig.

Und wenn man bedenkt, dass es einem jederzeit wie jenem Äschylus ergehen kann, von dem Montaigne erzählt: "Äschylus war wahrsagerisch gewarnt worden, sich vor dem Einsturz eines Hauses zu hüten; was half's ihm, dass er sich vor jedem alten Hause in acht nahm? Ein Schildkrötenhaus erschlug ihn, das ein Adler aus der Luft fallen liess" [Montaigne, 13]. Eilig möchte man deshalb Horaz zustimmen, der sagt: "Jeden Tag, der dir erscheint, halt immer für den letzten; lieblich ist die Stunde, die über dein Hoffen kommt" [Horaz, Epist. I, 4, 13].

Weshalb die Angst vor dem Tod, wenn ich ihn doch nicht erlebe? Vielleicht ist die Angst vor dem Tod nichts anderes als die Angst, nicht gelebt zu haben. "Mancher zählt viele Jahre und hat doch nur kurz gelebt" [Montaigne, 28]. Halten wir es deshalb heute wie die Ägypter, von denen wiederum Montaigne erzählt, sie hätten bei ihren Gastmählern den Gästen ein grosses Bild des Todes zeigen lassen, wobei jemand ausgerufen habe: Trink und sei fröhlich, denn einst bist du wie dieser.

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Ein Bild des Todes zu zeigen, da sei den nun folgenden Rednerinnen und Rednern überlassen. Für Fröhlichkeit sorgen der Wein und die herbstlichen Gerichte, abgerundet durch eine köstliche Süssspeise. Süsslich soll der Abend auch beginnen: mit Musik. - Wohl bekomms!

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