Wir wollen diesem Titel ein Fragezeichen hintenanstellen und fragen also: Was ist? Auf den ersten Blick erscheint uns diese Frage als denkbar unschuldig, beinahe als neutral. Drückt eine solche Frage nicht sogar Bescheidenheit aus?
Beim Fragen handelt es sich doch immer um eine Art Eingeständnis von Unwissenheit. Oft sagen wir in entschuldigender Weise: "Es war ja nur eine Frage." Zeigt aber dieses "nur" tatsächlich eine Unschuld an? - Wir wollen diese Frage ein wenig genauer betrachten und fragen, was es mit dieser Frage auf sich hat. Ist sie tatsächlich so unvoreingenommen, wie sie daherkommt oder verbirgt sich darin nicht vielmehr eine ganz bestimmte Forderung oder gar ein Zwang; ein Zwang, der dasjenige Denken auszeichnet, welches gemeinhin als "Metaphysik" bezeichnet wird - und welches, angefangen mit Nietzsche und dann auch von Heidegger und heute vor allem von einigen französischen Philosophen zu überwinden versucht wird.
Was ist mit dieser Frage? Oder vielleicht sollten wir vielmehr fragen: Was ist mit dieser Frage? Was meinen wir, wenn wir fragen: was ist? Wir erwarten eine Antwort. Diesem Antworten ist aber nicht beliebige Freiheit gewährt. Das heisst, wir erwarten eine Antwort mit einer ganz bestimmten Struktur. Die Antwort muss, ganz allgemein ausgedrückt, folgende Struktur aufweisen: "Etwas ist" oder ganz formal: "x ist". Vergleichen wir einmal diese Antwort und ihre Frage. Es fällt auf, dass beide ein 'ist' enthalten. Der Unterschied besteht zwischen dem 'was' der Frage und dem 'etwas' der Antwort bzw. zwischen den Satzzeichen. Die Intention der Frage scheint sich in dieser Differenz zwischen Frage und Antwort abzuzeichnen. Offensichtlich liegt das Gewicht bei dieser Frage auf dem 'Was', während bei dem 'ist' scheinbar von einem gewissen Selbstverständnis ausgegangen wird.
Achten wir aber einmal auf dieses 'ist'. Die Frage sucht also nach allem, was ist. All dem, was ist, ist gemeinsam, dass es ist. Alles, was ist, wird traditionellerweise als Seiendes bezeichnet. Diese Bezeichnung ist ganz einfach das substantivierte Partizip von 'ist'. In derselben Weise wie wir das, was fährt, als Fahrendes bezeichnen, so sagen wir dem, was ist, Seiendes. Damit sind wir zu einer ersten Antwort auf unsere Hauptfrage gelangt. Die Antwort auf die Frage "Was ist?" lautet: Das Seiende ist. Man möchte hier vielleicht einwenden, dass damit noch überhaupt keine Antwort gegeben ist. Zu sagen, dass das Seiende ist, ist doch eine reine Tautologie, d.h. man sagt zweimal dasselbe. Damit erhalten wir noch keine Auskunft darüber, was das Seiende ist.

Was ist das Seiende? Was ist das Seiende insofern es Seiendes ist? Diese Frage hat ihren Ursprung schon bei den Griechen und gilt als die Frage der Metaphysik schlechthin. Wenn wir beispielsweise nach dem Fragen, was ein Fahrendes ist, dann könnte man antworten: Ein Auto, eine Kutsche, ein Fahrrad usw.. Wenn wir aber danach fragen, was das Fahrende ist, insofern es ein Fahrendes ist, dann fragen wir nach dem Fahren selbst. In analoger Weise lässt sich die Frage nach dem Seienden insofern es Seiendes ist als Frage nach dem Sein formulieren. Wie lautet aber die Frage nach dem Sein? Können wir fragen: Was ist Sein? Wenn wir die Frage nach dem Sein in dieser Weise stellen, gelangen wir unverzüglich in ungereimte Schwierigkeiten. Damit wird dem Sein Gewalt angetan, das Sein selbst wird dadurch als Seiendes aufgefasst. Wenn wir fragen: "was ist Sein?", dann implizieren wir damit, dass Sein etwas ist. Wenn wir Sein zu definieren versuchen, indem wir ein 'ist' gebrauchen, dann versuchen wir Sein durch sich selbst zu definieren. Die zentrale Frage der Metaphysik lässt sich offensichtlich nicht einfach so stellen.Die Metaphysik hat nun traditionellerweise versucht, dieses Problem in der Weise zu überwinden, dass sie Sein als obersten Begriff erklärte, welcher sich jeglichem Definitionsversuch entzieht. Sein kann dann weder Subjekt noch Prädikat sein. Sie können sich diesen Sachverhalt folgendermassen vorstellen. Wir fragen z.B. "was ist Aristoteles?". Eine Antwort auf diese Frage kann durch die Angabe des nächsten Oberbegriffes dessen, nach dem gefragt wird, gegeben werden. Aristoteles ist Philosoph. Was ist ein Philosoph? Ein Philosoph ist ein Mensch. Und ein Mensch ist ein Lebewesen. In dieser Weise steigen wir nach oben in einer Begriffspyramide, bis wir nicht mehr weiter kommen. Durch solches Antworten in einer Struktur des "es ist" gelangen wir Stufe um Stufe höher hinauf. Wenn nun das Sein keinen weiteren Oberbegriff zulässt, dann liegt der Gedanke nahe, dass damit auch das Antworten in einem "es ist", d.h. in der Form "das Sein ist....", nicht mehr möglich ist.

Für die Griechen war aber das Sein, trotz seiner Undefinierbarkeit, nicht einfach ein leeres Wort. Ebensowenig verstanden sie es als blosse Kopula, als reines Hilfsverb. Sein ist das, was allem Seienden in irgendeiner Weise zukommt. Aristoteles bestimmt das Sein des Seienden als Wirklichkeit und als Anwesenheit. Diese Auffassung bleibt über Hegel und Marx bis hin zu Nietzsche massgebend. Seiendes wird gerade dadurch, dass es Anwesendes ist, zugänglich, greifbar, be-greifbar. Im neuzeitlichen Denken (bisweilen auch als "Moderne" bezeichnet), welches grob gesagt mit René Descartes (1596-1650) anhebt, gelangt dieses Denken zum Seienden als Gegenstand, welches dem erkennenden Subjekt als Objekt gegenübersteht und dadurch erfassbar wird. Die Frage "was ist?" im neuzeitlichen Verständnis, welches heute in mancher Weise noch vorherrscht, ist quasi ein Bestreben, das Gesuchte in die Anwesenheit, in die Präsenz des Subjektes zu bringen. Martin Heidegger (1889-1976) spricht diesbezüglich von "Vergegenständlichung".

Ich hatte zu beginn von einem Zwang gesprochen, der sich möglicherweise in der Was-ist-Frage verbirgt. Nietzsche und vor allem Heidegger, später auch Derrida, weisen diesen Zwang auf, der vom Seinsbegriff im Sinne der Anwesenheit, der Präsenz herrührt. Wenn wir in diesem Sinne fragen: Was ist?, dann versuchen wir das Gesuchte quasi vor uns als Objekt aufzustellen, um es anglotzen zu können. Lassen sie mich die Problematik dieses Vorgehens an einem Beispiel von Heidegger erläutern. Wenn wir einen Hammer vor uns auf den Tisch stellen und ihn betrachten, um zu erfahren, was er in seinem Wesen ist, dann bleibt uns sein eigentliches Wesen verborgen. Dieses erfahren wir erst dann, wenn wir den Hammer gebrauchen, um beispielsweise einen Nagel einzuschlagen. In noch grössere Probleme geraten wir, wenn wir, wie schon angetönt, die Was-ist-Frage an Dinge richten, die gar kein Seiendes sind, wie z.B. die Zeit, was ich hier nicht weiter ausführen kann, oder eben das Sein selbst.
Was ist? - In diesem 'ist' verbirgt sich offenbar der Drang, Dinge ergreifen zu wollen, die uns gerade durch dieses Ergreifen entschlüpfen. Was ist? - Nicht alles! Vielleicht weniger als wir hoffen. Was "isst" ein Affe? Sie werden mir jetzt vermutlich keinen Glauben schenken, aber der Affe stellt sich diese Frage tatsächlich bisweilen selbst. Und genauso wie wir oft dem metaphysischen Denken verhaftet bleiben, so lässt sich der Affe nicht leicht von seiner gewohnten Denkweise abbringen. Deshalb kann ihm diese Frage auch zum Verhängnis werden. Was "isst" der Affe? Diese Frage stellt sich der Affe vor allem dann, wenn er Hunger hat. In gewissen Ländern werden von Affenjägern kleine Höhlungen in einen Baumstamm gehauen, deren Innenraum grösser ist als die Öffnung. Die leere Affenhand gelangt gerade knapp durch die Öffnung hinein, ergreift das, nach dem er die genannte Frage gestellt hatte und ist durch sein Zugreifen, in welchem er stur verharrt gefangen. Der Affe isst nicht mehr, mag er auch für eine Weile noch sein. Man sagt, der Mensch sei mit dem Affen verwandt. Wie dem auch sei, lassen Sie sich diese Verwandtschaft nicht anmerken!

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