Ist das eine Frage? Oder eine Ankündigung einer Aufzählung dessen, was ist, im Sinne von: Was ist, ist Folgendes:…? Lassen wir es offen; denn so oder so zeigt der Titel eine Leerstelle an, verlangt nach einer Ergänzung, und zwar nach der Angabe, was ist – sei es als Antwort, sei es als Aufzählung, die zu folgen hat.

Diese Leerstelle – sie ist das Thema des heutigen Abends; sie zu füllen - ein abendfüllendes Unterfangen. Die Leerstelle soll nicht mit einer Einleitung gefüllt werden – dies ist Aufgabe der Rednerin und der Redner – Wein und Bier tun das Ihrige dazu; vielmehr möchte ich diese Leerstelle im Folgenden noch ein wenig öffnen.

1. Das Wort

Es gibt eine Wissenschaft, die sich mit dieser Leerstelle befasst; sie nennt sich Ontologie oder Metaphysik. Lässt man das Historische beiseite, so kann man sagen, dass die beiden Namen dasselbe bedeuten.

Das Wort "Ontologie" entstammt dem Griechischen, ein griechisches Wort aber, das die Griechen nicht kannten, ein Kunstwort also. Erstmals taucht es im 17. Jh. auf. Wer es das erste Mal verwendet hat, lässt sich allerdings nicht genau angeben. In der "Encylopedia of Philosophy" heisst es unter dem Stichwort "Ontology": "[...] but the term was such a natural Latin coinage and began to appear so regularly that disputes about priority are pointless." Trotz der allgemeinen Gebräuchlichkeit wird, wenn es um die erstmalige Verwendung von "Ontologie" geht, in den meisten Nachschlagewerken auf R. Goclenius (1547-1628) verwiesen. In seinem "Lexicon philosophicum" (Frankfurt 1613) wird "Ontologie" als "philosophia de ente" (Philosophie vom Seienden) bezeichnet. Einflussreich für den Begriff und seine Bedeutung war schliesslich Chr. Wolffs Werk "Philosophia prima sive Ontologia" (Frankfurt/Leipzig 1730), wo folgende Bestimmung aufgeführt wird: "Ontologia seu philosophia prima est scientia entis in genere seu quatenus ens est" [Ontologie oder Erste Philosophie ist die Wissenschaft vom Seienden im Allgemeinen bzw. sofern es Seiendes ist]. Ontologie ist, wie die beiden Zitate sagen, die Wissenschaft vom Seienden im Allgemeinen. Blättert man in heutigen Ontologie-Lehrbüchern, so wird Ontologie (bzw. Metaphysik) auch bestimmt

"[…] als die philosophische Grunddisziplin, deren Aufgabe es ist, eine allumfassende Wirklichkeitsinterpretation zu geben, indem sie bis zu den letzten Gründen oder dem letzten Grund von allem, was es gibt, vordringt" [Weissmahr 1991, 14].

Der Sache nach ist Ontologie keine Erfindung des 17. Jahrhunderts. Die Frage nach dem Seienden oder die Frage nach der Wirklichkeit wurde von altersher gestellt; als erste "Ontologen" dürften wohl schon Parmenides, Platon oder Aristoteles bezeichnet werden.

2. Der Gegenstand

So viel zum Wort. Schreiten wir zu den Gegenständen der Ontologie. Hierbei hilft uns Quine weiter, der zu Beginn seines Aufsatzes "On what there is" schreibt:

"Das Erstaunliche am ontologischen Problem ist, dass es so einfach ist. Drei Silben genügen zu seiner Formulierung: ‘Was gibt es?’, ein Wort als Antwort: ‘Alles’, und jedermann wird zustimmen" [Quine 1948, 102].

Was ist? Alles. Einfach, nahezu unsinnig einfach und auch unmittelbar einsichtig – doch in seiner Einfachheit auch nichtssagend. Nicht fassbar: Wer hat schon alles – gesehen, begriffen, betastet, gerochen? Können wir uns unter "alles" etwas vorstellen? – Bleiben wir beim Sehen. Gesehen habe ich nur Bruchstücke einer Wirklichkeit, eines Lebens, das ich gelebt habe. "Alles" übersteigt mein Sehvermögen. Beschränkt auf Einstellungen, die mir alles nur als Einzelnes vorstellen, finde ich mich nicht vor allem, sondern schon in alles hineingestellt.

Was mein Sehen beschränkt, gründet letztlich in meinem Sein: Ich habe Haltung, Standpunkt, sogar Welteinstellung. Selbst wenn ich tolerant bin, so bin ich eben tolerant und nicht intolerant. (Toleranz: eine andere Form von Einstellung, die vorgibt keine zu haben.) Wenn ich bin, bin ich schon dies oder jenes und eben das andere nicht. Alles vor sich zu haben hiesse, nirgends und nichts zu sein.

Was mich an "allem" scheitern lässt, ist die spezifisch menschliche, besser: subjektive Perspektive, aus der ich, als Körper in die Welt eingelassen, auf die Welt sehe. Kann ich wenigstens "alles" denken, sozusagen in Gedanken durchschreiten, was mir mein Körper versagt? Ich müsste, da ich alles zu denken hätte, auch mich denken können. Doch kann ich mir selbst Gegenstand sein? Stellen wir uns das einmal vor: Ich denke mich - wer denkt denn da, wenn ich mich denke? - Sehen und Denken, beides sind Formen des Begreifens, des In-den-Begriff-Bekommens, also letztlich ein Ergreifen, bei dem es einen gibt, der jenseits des Begriffenen greift. Ergreifen heisst Aufreissen – bedeutet einen Riss in das gleichmässig Ganze. Was ist, ist eben – für mich - nicht alles, sondern sektorhaft Aufgerissenes: ein Ausschnitt, eine Weise.

Wenn schon "alles" unbegreiflich ist, versuchen wir es mit dem Einzelnen. Dass die "einfache" Antwort nicht viel taugt, dachte wohl auch Quine: "Aber eigentlich heisst das nur: es gibt, was es gibt. Bei Einzelfällen bleibt ein Spielraum für Meinungsunterschiede; und so hat sich das Problem jahrhundertelang am Leben erhalten" [Quine 1948, 102]. Stürzen wir uns, bescheidener geworden, auf das Kleine. Ein Beispiel für den Streit über "Einzelfälle" gibt Putnam:

"Nehmen wir an, ich führe jemanden in ein Zimmer, in dem sich ein Stuhl und ein Tisch mit Lampe, Notizbuch und Kugelschreiber befinden, sonst nichts. Nun frage ich: ‘Wie viele Gegenstände befinden sich in diesem Zimmer?’ Darauf erwidert mein Begleiter, wie ich annehmen möchte: ‘Fünf.’ Ich frage weiter: ‘Welche sind das?’ ‘Ein Stuhl, ein Tisch, eine Lampe, ein Notizbuch und ein Kugelschreiber.’ ‘Wie steht es mit dir und mir? Sind wir nicht auch in diesem Zimmer?’ Da kichert mein Begleiter womöglich und sagt: ‘Ich wusste nicht, dass ich nach deiner Ansicht auch die Personen zu den Gegenständen rechnen sollte. Also gut, dann sind es also sieben.’ ‘Wie steht es mit den Seiten des Notizbuchs?’ Nun wird mein Begleiter wahrscheinlich weit weniger hilfsbereit und meint, ich wollte ihn auf den Arm nehmen. Aber wie lautet eigentlich die Antwort auf meine Frage?" [Putnam 1991, 194f.].

Man kann weiter fragen; der Physiker gelangt vielleicht zu Atomen, Quarks oder Neutrinos: Das ist alles, was ist. Was hingegen würde ein Theologe sagen? Was ein Biologe? Oder ein Mathematiker? Putnams Frage lautet eigentlich: Was ist ein Gegenstand? Ist meine Nase ein Gegenstand? Oder ist sie eine Ansammlung von Gegenständen? Oder ist sie bloss ein Teil eines Gegenstandes, ein Teil von mir? – Wir sind mit dem "alles" nicht klargekommen – nun erweist sich aber auch im Einzelnen als strittig, was denn nun eigentlich ist.

Gibt es hier überhaupt noch Antworten? Schaut man zurück, so bemerkt man, dass man die Frage "Was ist?" unversehens (um)gedeutet hat. Das erste Beispiel deutete die Frage als Frage nach dem, was existiert; das zweite Beispiel hingegen deutete die Frage als Frage nach dem, was ein Gegenstand ist. Eingangs bestimmten wir Ontologie als Lehre vom Seienden, und die Frage zielte auf das "ist". Wenn wir schon unsere Mühe mit der Welt im Ganzen, aber auch mit unserer Welt im Kleinen haben, so bleibt noch das Wort und die Sprache. Was heisst "ist"? Was meinen wir, wenn wir "ist" sagen? – Doch auch hier erweist sich der Weg als dornig; denn "ist" ist nicht definierbar, zumindest nicht schulgerecht. Denn wollte man "ist" definieren, so müsste man in der Definition "ist" verwenden. Unsere Definition wäre zirkulär, da wir in der Definition bereits voraussetzen, was zu definieren ist. (Dies in Anlehnung an Heidegger in "Sein und Zeit": "Der Begriff ‚Sein‘ ist undefinierbar" [Heidegger 1986, 4].)

3. Die Frage

Wie ich eingangs gesagt habe: die Leerstelle sollte nicht gefüllt werden. Vielmehr soll angedeutet werden, was sie alles birgt. Vielleicht ist sie noch grösser geworden – gross genug, um nun darüber zu streiten. Einfältig und unschuldig frage ich: Was ist?

 

Literatur:
Martin Heidegger, Sein und Zeit (Tübingen 1986, 16. Aufl.)
Hilary Putnam, Repräsentation und Realität; übers. v. Joachim Schulte (Frankfurt am Main 1991)
Willard von Orman Quine, Was es gibt (1948); in: Das Universalienproblem; hg. v. Wolfgang Stegmüller (Darmstadt 1978); S. 102-123
Béla Weissmahr, Ontologie (Stuttgart, Berlin, Köln 1991)

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